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Der Norden Kanadas - Entwicklungsland an der Peripherie


Kanada, Wirtschaftsentwicklung, Bergbau, Fischerei, Forstwirtschaft, Bevölkerungsverteilung, Genese

Der politische Norden umfasst das 1898 gegründete Yukon-Territorium und die Nordwest-Territorien, von denen 1999 ein Teil als Nunavut abgegrenzt wurde. Die Territorien unterstehen der Verfügungsgewalt von Parlament und Bundesregierung in Ottawa, die lokalen Dienststellen befinden sich in den beiden Hauptstädten Whitehorse und Yellowknife, zu denen in Nunavut die Stadt Iqaluit, das frühere Frobisher Bay, kommt.

Die Wirtschaft des Nordens ist zweigeteilt: Indianer und Inuit betreiben noch ihre traditionelle Fischerei und Jagd, wobei hauptsächlich die Felle in den Handel gehen. Unternehmen, die meistens außerhalb der Region ansässig sind, beuten die Ressourcen des Raumes, besonders die Buntmetalle Gold, Silber, Blei und Zink, aus. In den südlichen Bereichen der Subarktis kommen Holz und Hydroenergie hinzu. Die Standorte des Bergbaus liegen weit voneinander entfernt, so sind auch die wenigen Siedlungen weit über den Raum verstreut.

Die Möglichkeiten der wirtschaftlichen Nutzung des Raumes lassen nur eine geringe Bevölkerung zu. Mit rd. 100.000 Bewohnern leben in den Nordterritorien 0,3 % der kanadischen Bevölkerung, rechnerisch ergeben sich 0,02 Einwohner pro km². Hinzu kommt, dass die Menschen in wenigen Orten konzentriert sind, so leben in Whitehorse (19.160 Einw., 1996) über 60 % der Einwohner des Yukon-, in Yellowknife (17.275 Einw., 1996) etwa 25 % der Nordwest-Territorien. Fast jeder fünfte Bewohner von Nunavut lebt in der Hauptstadt Iqaluit (4.220 Einw., 1996). Weitere Zentren bleiben unter 3.000 Einwohnern. In der Zusammensetzung der Bewohner des Nordens zeigt sich, dass etwa die Hälfte aus Eingeborenen, Indianern und Inuit besteht, die anderen zugezogen sind. Unter diesen wiederum überwiegen mit ca. 80 % diejenigen, die sich nur vorübergehend im Norden aufhalten (transient residents), während die anderen sog. Langzeit-Bewohner (longterm residents) sind, die dort dauerhaft leben. Neben den Eingeborenen sind sie an den lokalen Entwicklungen interessiert und setzen sich dafür ein.

Die Entwicklungen im Norden lassen sich seit dem Eintreffen der Europäer in drei Phasen zusammenfassen: Die Begegnungen im 19. oder auch erst im 20. Jh. bedeuteten für die Indianer und Inuit eine Zäsur ihres wirtschaftlichen und sozialen Lebens. Mit dem Pelzhandel und dem Eintausch von Schusswaffen und anderen Jagdgeräten änderten sich nicht nur die Jagdmethoden und der Einfluss auf die Tierbestände, sondern die Eingeborenen gerieten gleichzeitig in eine Abhängigkeit. Der Norden wurde zum Hinterland europäischer Handelsgesellschaften, vor allem der mächtigen Hudson`s Bay Company. Mit dem Verkauf des Landes der Company (1870) und der Übertragung der arktischen Inseln durch England (1882) gehörte der Norden zwar politisch zum Dominion of Canada, seine Abhängigkeit und Stellung als Hinterland blieb jedoch bestehen. Von wenigen kleineren Bergwerken abgesehen, dominierten noch lange Zeit Jagd, Fischfang und Fallenstellen.

Die zweite Entwicklungsphase setzte während und besonders nach dem Zweiten Weltkrieg ein, als der Norden in ein strategisches Verteidigungskonzept einbezogen wurde. Dadurch entstanden militärische Stützpunkte und die Radarstationen der Mid-Canada Line sowie der Distant-Early-Warning Line (DEW) entlang des 70. Breitenkreises. In der gleichen Zeit, den 1950er-Jahren, führten Abnahme und Fluktuation der Tierbestände zu Krisen in der Jagd und im Pelzhandel. Vereinzelt traten bei den Inuit Hungersnöte und Epidemien, besonders Tuberkulose und Kinderlähmung, auf. Erstmals griff die Regierung ein und erweiterte ihre Präsenz, die bisher hauptsächlich aus Polizeistationen bestand. Die Errungenschaften des Sozialstaates, wie Fürsorge, Altersversorgung, Kindergeld usw., wurden eingeführt und die soziale Infrastruktur ausgebaut. Es entstanden Schulen und Krankenstationen, neue Wohnungen und moderne Einrichtungen zur Ver- und Entsorgung. Neben neuen Städten, wie Inuvik und Frobisher Bay, jetzt Iqaluit, wurden häufig lange bestehende Handelsstationen zu Siedlungen erweitert. Yellowknife, ursprünglich ein Bergbauort, erhielt 1967 die Funktion eines Verwaltungszentrums. Eine Folge dieser Maßnahme war, dass wohl die Mehrzahl der Eingeborenen ihre bisherigen Wohnorte, in denen oft nur wenige Familien lebten und die zum Teil auch nur saisonal besetzt waren, aufgaben und in die größeren Zentren zogen. Die Abhängigkeit des Nordens und seiner Bewohner dehnte sich seit dieser Zeit auf den sozialen Bereich aus.

Sie verstärkte sich besonders ökonomisch in einer dritten Phase, in der die Ressourcen zunehmend bekannt und ausgebeutet wurden. Unternehmen aus dem In- und Ausland sicherten sich Nutzungsrechte und investierten Kapital. Während in der Region Rohstoffe und Hydroenergie gewonnen werden, erfolgen Verarbeitung und Verkauf außerhalb, sodass die Gewinne in den industriellen und urbanen Zentren des Südens verbleiben. Zusätzlich werden in der Region ökologische Schäden angerichtet, was bei der sensiblen Umwelt des Nordens langfristige Folgen hat.


Quelle: Kanada
Autor: Karl Lenz
Verlag: Wissenschaftliche Buchgesellschaft
Ort: Darmstadt
Quellendatum: 2001
Seite: 314/315
Bearbeitungsdatum: 15.05.2006